Covertext
„Häusererflüsterer“ wird er heimlich genannt, der Immobilienmakler, Erik Holzhammer. Holzhammer betreibt seine Arbeit aus Passion. Allerdings ist er aller Berufung zum Trotze mit der Begabung gesegnet, in Liegenschaften und Objekten Stimmen und Schwingungen zu verspüren, die auf Vergangenes hinweisen und Unerwartetes verbergen.
Doch seine Neigung zur Telepathie bleibt trotz seiner Bemühungen im Gewerbe nicht unerkannt. Denn eines Tages bittet ihn der extravagante Marcus Tannhäuser, Teilhaber einer der größten Vermittlungsagenturen vor Ort darum, in seinem Namen das berühmt berüchtigte „Rote Haus“, die Villa Maltinstetter im Fischbachtal zu verkaufen.
„In diesen Gemäuern hausen dunkle Mächte. Keiner will es kaufen. Wir bekommen einen Eintrag von der Maklerinnung, wenn es nicht bald aus unserem Bestand verschwindet“, flüstert Tannhäuser entrückt, als sei er selber ein Gefangener unbestimmter Ängste.
Holzhammer nimmt den Auftrag an. Er forscht und spürt der Geschichte des „Roten Hauses“ hinterher. Dabei kommt er einem Verbrechen auf die Spur, welches noch im Jahr 1936 das Schicksal zweier eng miteinander verstrickter Familien an den Rand des Abgrundes zog. Doch die Schatten des „Roten Hauses“ greifen über mehrere Generationen hinweg bis Holzhammer selbst in die Klammer einer drohenden Zerstörung gerät. Und, wie geht Holzhammer damit um? Schlägt er den Zwängen ein Schnippchen, oder unterliegt er doch dem „Geflüster“, als Erbe vergangener Tage?
Textprobe
Die Liebe in den Stunden dunkler Versunkenheit
„Und nachts verströmen sich Jasmin und Nachtschatten
in ein gefräßiges Schwarz schwacher Stunden.
und der Schwung ihres Wurfes schreit mit Wut, wenn sie es tun
so trotzig bäumt sich auf ihre wilde Verschwendungssucht,
so dass der Schmerz ihres Vergehens
jeden aber auch jeden mitreißt
der es wagt,
die schäumenden Wogen einmaliger Untergänge
in heimlicher Stille zu belauschen
1936 verschwand spurlos der Dichter und Musiker Robert Friedberg. Robert Friedberg war ein begnadeter Lyriker und ein Geiger, dessen Streich- und Dichtkunst in seiner Zeit seines Gleichen suchte.
Die Familie Friedberg waren in jenen Tagen bekannt dafür gewesen, mit ihrem Gedankengut, ihrer Unternehmensphilosophie sowie mit ihrer Form Schutzbefohlene anzuleiten und zu führen, weit ihrer Zeit voraus zu sein.
Robert war in einem Elternhaus aufgewachsen, zu dessen säulengestütztem Herrenhaus eine Allee zu dieser Welt von sorgfältig geschliffenen Mamorbögen, edlem Ansinnen, feinen Gerüchen sowie gepflegtem familiären Brauchtum hinaufführte. Eichen schmeichelten links und rechts vom Straßenrand jene gerade gestreckte Auffahrt, die mit ihrem hoch aufragendem Wuchs, prächtigen Baumkronen und üppigen Blätterwuchs respektvoll das Spalier zu einem traditionellen Familiensitz eröffneten. Die Nester in ihren üppig bewucherten Höhen waren von Sperlingen, Amseln, Drosseln sowie Grünspechten bewohnt. Liebevoll geduldet wurden sie und sogar von den Mädchen des Hauses mit Aufopferung gehegt und gepflegt, hatte sich ein Junges noch bild und unbeholfen, aus seiner schützenden Höhe auf jene Auffahrt verloren. Es gab also keinen Grund diesem Umfeld schutzlos zu entfliehen.
Vater Ewald Friedberg lebte seine Rolle als verantwortungsbewusster Patriarch und füllte sie mit jeder Pore seines Körpers und seines Geistes in jedem Moment seines Lebens aus. Er war allzeit besorgt um die geistige Haltung seiner Leute, bemühte sich darum ihre Gesinnung und ihre Rechtschaffenheit unter seinem Dach zusammen zu halten und hoffte allzeit im Stillen, dass ihre Liebe zu Gott, dem Vater im Himmel ausreiche, um den unheilvollen Versuchungen irdischer Verstellungen zu widerstehen. Kein Kind, dessen Eltern bei ihm im Dienste stand, sollte jemals diese Erde ohne festes Schuhwerk betreten, sollte das Alter der Firmung erreichen, ohne nicht vorher ordentlich des Lesens und Schreibens kundig geworden zu sein. Dazu mussten Brot und Milch ausreichen, um das gesunde Wachstum aller Zöglinge auf dem familiären Gut und der gesamten Umgebung sicherstellen. Auch sollte kein Knecht, kein Bediensteter, kein Angestellter einsam und frierend im Fieber dahinsiechen ohne dass nicht ein Arzt die Genesung des Leidenden vorantriebe.
Als der zweitgeborene Sohn des Hauses, Robert eines Tages verschwand, ohne dass auch nur winzigste Spuren einen Hinweis zu seinem Verbleib lieferten, trauerte jeder Atemzug, der diesem Unternehmen sowie der gesamten Familie jemals seinen Dienst geleistet hatte. Angefangen vom Laufbursche Emil, der nur noch mit polternden, schleppenden Tritten und trüber Miene seine Botengänge verrichtete bis hin zu Egon Fadenschein, Vater Friedbergs erster Direkter, Betriebsleiter sowie sein wichtigster, engster Vertrauter und Berater, in dessen eiserne bis zum Verdienstkreuz ausgezeichnete Zuverlässigkeit plötzlich bedenkliche Ausfälle von Vergesslichkeit und Zerstreutheit einbrachen.
Einführung
Meine Sinne sind geschärft. Ich lasse die Tageszeitung in meinen Schoß sinken. Das Rascheln des Papiers dringt unerträglich in mein Ohr.
Ich bin mir ganz sicher. Es wird nicht lange dauern und die Polizei wird bei mir an der Haustür klingeln. Doch bevor es so weit ist, meine sehr verehrten Damen und Herren, möchte ich Ihnen zuerst meine Geschichte erzählen.
Holzhammer ist mein Name, Erik Holzhammer. Ich bin gelernter Immobilienkaufmann.
Häuser und Gemäuer waren schon immer meine Themen gewesen. Immobilien und Liegenschaften hatten es mir stets angetan. So wurde ich „Immobilienfachwirt“.
Seitdem habe ich schon bei so manchem Makler im Dienst gestanden und inzwischen fast unzählige Verkaufsprospekte, sprich Exposés erstellt zu Anwesen, zu steinernen Fassaden einschließlich ihrer Gärten, die sich beiläufig in ihren Schatten schmiegen.
Doch je mehr ich mich mit dieser Materie beschäftigte, umso mehr erlebte ich mit der Zeit Seltsames oder auch Unaussprechliches. Auch wenn ich alles tat, um diese Seltsamkeiten nicht wahrzunehmen, so musste ich doch immer wieder erkennen, wie mich beim Studium von Wand und Land plötzlich heftige Gefühle überwältigten.
Das lag daran, dass ich nach längerer geduldiger Betrachtung unerwartet entdecken musste, wie völlig unerwartet Verwegenes zwischen Rissen und Fugen aus dem Inneren der Gemäuer ans Tageslicht kletterte. Gelegentlich meinte ich auch herauszudeuten, wie Steine und Fassaden (als wären ihnen Wort und Sprache durchaus vertraut) versuchten, Verspieltes, Forsches oder auch Bittendes eigens ihren Verschworenen mitzuteilen. Anfänglich tat es weh. Denn ich konnte mich in diesen Momenten Anwandlungen von Rührung nicht erwehren. Wie sollte ich mich verhalten, was sollte ich tun? Da ich spontan keine gute Antwort geben konnte, lag die Vermutung nahe, dass ich in solchen Augenblicken mit offenem Mund in der Welt gestanden habe. Und wenn ich ehrlich bin, habe ich mich natürlich immer gehütet, meine wahren Gedanken zu Stein und Gemäuer preiszugeben. Aber es war mein Schicksal, mich mit diesen Phänomenen abzugeben. So überfiel mich die Frage, die ich nicht abschüttelte
Wer flüstert so finster im Roten Haus?